Der Stifter Günter Zint
Günter Zint. Ein Gesamtwerk.
„Kein Medium ist für das Wachhalten von Erinnerungen besser geeignet als die Fotografie“, so Günter Zint, dessen Bilder ‚kollektive Gedächtnisstützen‘ für mindestens eine Generation sind.
Zint, 27. Juni 1941 in Fulda geboren, gehört zur jener Nachkriegsjugend, die sich später als 68er-Bewegung gegen den ‚Muff aus tausend‘ Jahren“ einer nur äußerlich ‚befreiten‘ Gesellschaft auflehnte. Als Fotograf nutzte Zint die Kamera, um ‚besonders deutliche Worte‘ für den Kampf seiner Generation, respektive seinen eigenen, zu sprechen - und nicht, um mit gefälligen Illusionen sein Bankkonto zu füllen. Seine Fotos sind authentisch, weil Zint, so sein Freund Günter Wallraff „teilnehmender Beobachter und trotz seiner Professionalität nicht nur Augenzeuge, sondern immer auch ein Betroffener des Geschehens ist.“(1) So fotografierte er auch die Proteste der 68er-, der Friedens-, Anti-AKW- und Hausbesetzer-Bewegung nicht ab, „sondern demonstrierte gleich mit und drückte noch auf den Auslöser, wenn der Gummiknüppel auf ihn niedersauste“(2) - was ihn zu einem Chronisten staatlicher Übergriffigkeit aus erster Hand und erster Reihe macht - und eine Reihe an Anzeigen, Gerichtsverhandlungen, Hausdurchsuchungen, Eintragungen beim Verfassungsschutz einbrachte.
Seine Karriere als „Gebrauchsfotograf“, wie er sich selbst bezeichnet, startete mit einem regen Interesse an der Rolliflex des Vaters und der ersten eigenen Kamera, einer „Agfa Isola, die ich Mitte der 1950er geschenkt bekam.“ Auf die Schulzeit folgte 1959 ein dpa-Volontariat, das ihn von Fulda weg nach Frankfurt, München, Berlin und Hamburg führte - und 1961 als Bildjournalist zu den Zeitschriften Quick und Twen. 1962 setzte sich der 21jährige Pazifist vor seinem Einberufungsbefehl zur Bundeswehr für zwei Jahre nach Schweden ab. Nach seiner Rückkehr zog es ihn nach St. Pauli, wo „das Leben tobt“ und „die Widersprüche einer Gesellschaft hart aufeinander prallen.“(3). Hamburgs ‚Armendistrikt’ mit seinem weltberühmten Amüsier- und Rotlichtviertel, war Anfang der 1960er Jahre Zentrum einer neuen Jugendkultur, die sich von hier aus über die BRD verbreitete - ausgehend von Bands wie den Beatles und ‚Epizentren‘ wie dem Star-Club in der Großen Freiheit. Dort war Zint zunächst Stammgast, später bestückte er als Hausfotograf die Schaukästen mit den Fotos der Live-Bands, darunter besagte ‚Fab Four‘. Aus der Idee, die Bilder an Fans zu verkaufen, wurde schließlich die Gründung einer eigenen Musik-Foto-Agentur, ‚Panfoto‘,1964. Zusätzlich arbeitete Zint weiterhin als freier Fotograf für die Zeitschrift TWEN, ab 1965 für den Spiegel, der ihn mit Reportagen aus Krisengebieten wie Nordirland (1966), Ägypten, Israel und Jordanien (Sechstage-Krieg 1967) beauftragte.
Seit Mitte der 1960er Jahre lag der Fokus seines Interesses - und dementsprechend seiner Kamera - bei Politik und Subkultur. 1968 brachte er beides zusammen, indem er „gemeinsam mit SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) Genoss*innen die ersten Pressekommune, APO-PRESS gründete. Weil ihm „langweilig war, als ich für längere Zeit im Krankenhaus lag,“(4) rief Zint noch im gleichen Jahr die St. Pauli Nachrichten ins Leben, „die sich sehr schnell zu einer erfolgreichen linken Boulevardzeitung entwickelte und 1970 eine Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren erreichte.“(5) 1971, nach ihrer Wandlung zum reinen Sexblatt, verkaufte Zint die St. Pauli Nachrichten an seinen Teilhaber Helmut Rosenberg.
Auch die Zusammenarbeit mit dem Spiegel nahm 1971 ein Ende, nachdem er sich im Nachgang einer Studentendemonstration mit dem Verlagsdirektor überworfen hatte.
Zwischen 1972 und 1988 begleitete er mit seiner Kamera die Protest-Aktionen der Anti-Atomkraft-Bewegung in Grohnde, Brokdorf, Gorleben, der ‚Republik Freies Wendland‘ „außerdem die Aktivitäten von Umweltgruppen wie ‚Greenpeace’ und ‚Robin Wood‘ sowie die Kämpfe der Hausbesetzer um ihre Quartiere in der Hamburger Hafenstraße.
„Daneben wurde er gegen Ende der 1970er Jahre zunehmend als Buchautor und -herausgeber aktiv“(6), darunter alleine rund siebzig zur Anti-AKW-Bewegung. Mittlerweile geht die Zahl der Bücher und Zeitschriftentitel zu denen er Fotos zugesteuert hat, in die Hunderte.
Zu Beginn der 1980er bekam St. Pauli für Günter Zint zunehmend Gesichter und Namen, weil seine fotografischen Exkursionen durch die Milieus auf der Straße und dem Strich, durch Stammkneipen, Schnellimbisse, Erotik-Theater,…nicht selten an den Küchentischen der St. Paulianer*innen und schließlich in dauerhaften Freundschaften endeten. 1982 erschien sein erstes Kiez-Portrait, ‚Die Weiße Taube flog für immer davon‘, ein ‚St. Pauli-Bilderbuch’ bestehend aus Zints Fotografien und von den Kiezbewohner*innen selbst verfassten Texten - was den erwünschten ‚Nebeneffekt‘ hatte, dass Wort und ‚Auftritt’ bekam, wer in der Regel kaum gehört wurde.
St. Pauli, (damals?) Hamburgs ‚Schmuddelkind‘, überhaupt mit Geschichte und Geschichten in Verbindung zu bringen, die es zu bewahren und zu erzählen gilt, ist eine Leistung, die Zint weit vor der Hansestadt erbracht hat - und auf lange Strecken ohne deren Unterstützung.
Für den Stadtteil, dessen Einwohnerschaft man ‚richtige Kultur’ nicht zutraute, initiierte er zunächst die Gründung des St. Pauli Archivs (1986) und zwei Jahre später des Vereins ‚Kultur für St. Pauli‘ (1988), aus dem schließlich das Sankt Pauli Museum (eröffnet 1988) hervorging. Mit Unterstützung der Nachbarschaft und eines Freundes- und Bekanntenkreises in einem Radius von St. Pauli bis St. Petersburg, konnte das privat geführte Haus drei Jahrzehnte finanzieller Turbulenzen und sieben Standortwechsel überstehen. Während dieser Zeit wurde es zum Fixpunkt und zur Anlaufstelle für alle, die ihre Geschichte hinterlassen wollten, sich aber in den ‚großen Museen‘ und Archiven nicht zu Hause fühlten. Dinge wurden geschenkt, zurückgelassen, gerettet und erstritten, sodass ein einzigartiger Fundus heranwuchs; eine Sammlung aus Bildern, Schriftstücken und Objekten zur Stadtteilhistorie, den Erinnerungen an ‚kleine Leute‘ mit ‚großen Geschichten‘ und den Fotografien des ‚Kiezchronisten‘ Günter Zint.
Als das Sankt Pauli Museum 2020 unter anderem als Folge der Corona-Pandemie endgültig schließen musste, fiel für den Museums-Fundus der Startschuss für ein neues Kapitel (nach einem erfolgreichen Intermezzo als gut besuchte Sonderausstellung im Schwedenspeicher-Museum Stade/Niedersachsen). Diesmal lautet die Überschrift ‚gesicherte Zukunft‘: 2021 wurde die Stiftung Günter Zint ins Leben gerufen, seither sind der St. Pauli-Fundus und das Panfoto-Archiv mit sämtlichen Arbeiten Zints sowie eine Reihe an Fotograf*innen-Nachlässen zu einem Gesamtkonvolut vereinigt. Diese Sammlung ist ein Kaleidoskop der Vita und ein Spiegel des Wesens Günter Zints und wird künftigen Generationen „Erinnerungsstützen“ an eine Vergangenheit sichern, die sie selbst nie erlebt haben - mit dem Blick eines „Lebens-Sammlers“, Menschenfreundes und Idealisten, der sich von Nichts und Niemandem verbiegen lassen will.
Eva Decker, April 2022.
(1) Günter Wallraff: Günter Zint. Fotografischer Aufklärer und Menschenfreund.
In: Günter Zint: Zintstoff. 50 Jahre deutsche Geschichte. Fotos von Günter Zint.
2. Aufl., Petersburg, 2008. S. 4.
(2) Ebd., S. 2.
(3) Gerald Grünklee: Günter Zint. Fotograf, Augenzeuge, Chronist.
In: Der Ziegelbrenner. Katalog 2018. Bremen, 2018. S. 7.
(4) Günter Zint: Wilde Zeiten. Hamburg-Fotografien von Günter Zint 1965-1989. Hamburg, 2018, S. 69.
(5) Ebd.
(6) Grünklee, Günter Zint. Katalog, S. 7.
Der „Tathergang“ in chronologischer Folge:
Geboren am 27.6.1941 in Fulda
1954 erste Kamera AGFA Isola - fotografiere Schülerbälle. Postkarte Petersberg Kloster.
1956 Lehre bei Büttner abgebrochen / Klostermann Praktikum Landwirtschaft
1959 dpa Volontariat Frankfurt / Düsseldorf / München / Berlin / Hamburg
1961 Mitarbeit bei Quick und TWEN
1962 Aufenthalt in Schweden als Fahnenflüchtiger von der Bundeswehr
1964 Niederlassung in Hamburg (Meldung in Berlin und Anerkennung als Kriegsdienst-Verweigerer)
1964 Gründung von PANFOTO als Musikagentur (Star-Club) Freier Fotograf bei TWEN
Erstes Kennenlernen Günter Wallraffs.
1965-66 SPIEGEL Reportagen (auch mit Wallraff) in Nordirland / EU Gespräche in England / Kennedy
1967 SPIEGEL Reportagen, Sechstage-Krieg Israel / Ägypten / Jordanien
1968 Gründung St.Pauli Nachrichten und viele Reportagen zu APO Kommune Zeit. APO Press
1971 Verkauf SPN
1972 bis 1988 Reportagen zu Anti-AKW (Malville / Grohnde / Brokdorf / Gorleben) und Standfotograf / Aufnahmeleiter und Regieassistent bei Bioscop-Film (Schlöndorff / Hauff / Fleischmann / Buschmann)
1980 Reportage über die Republik Freies Wendland
1982 Vorstellung "Die weiße Taube flog für immer davon"
1982 bis 1988 diverse Bücher zu Anti-AKW (damaliger Bestseller: „Gegen den Atomstaat“ mit 500.000 verkauften Exemplaren)
1979 bis 1985 Bücher zu Anti-AKW. (Gesamtauflage über 2 Millionen Exemplare.)
1986 Gründung des St.Pauli Archiv e.V.
1988 Gründung des Sankt Pauli Museum "Kultur für St.Pauli e.V.".
1991 Eröffnung des Sankt Pauli Museums (unter Anwesenheit von Paul McCartney )
1993 bis 2010 Umzüge mit dem Museum und Wanderausstellungen zu St.Pauli & Anti-AKW
2018 „Ausstellungsrekord-Jahr“ mit insgesamt 16 Ausstellungen
2020 Schließung des Sankt Pauli Museums
2021 Gründung Stiftung Günter Zint
Günter Zint, April 2021.
Quellen und Literatur:
Gerald Grünklee: Günter Zint. Fotograf, Augenzeuge, Chronist.
In: Der Ziegelbrenner. Katalog 2018. Bremen, 2018. S. 5ff.
Günter Wallraff: Günter Zint. Fotografischer Aufklärer und Menschenfreund.
In: Günter Zint: Zintstoff. 50 Jahre deutsche Geschichte. Fotos von Günter Zint.
2. Auflage. Petersburg, 2008. S. 4.
Günter Zint: Die weiße Taube flog für immer davon. Ein St. Pauli Bilderbuch. Hamburg, 1982.
Günter Zint: Wilde Zeiten. Hamburg-Fotografien von Günter Zint 1965-1989. Hamburg, 2018.
Günter Zint: Ikonen. Hamburg, 2020.
Der Fotograf Günter Zint. www.panfoto.de, abgerufen am 15.4.2021.